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Schreibtechnik: Was du in Dialogen unbedingt vermeiden solltest!



Kurze Antwort:

Zu viele Gedanken der Gesprächspartner.


Lange Antwort:


Betrachte folgenden Dialog.

>>Kannst du mir die Uhrzeit sagen?<<, fragte sie. Sie musste unbedingt wissen, wie spät es war. Um dreizehn Uhr hatte sie das Vorstellungsgespräch und wollte in jedem Fall noch genug Zeit haben, sich darauf vorzubereiten.

Ihr Mann sah auf die Uhr. >>Viertel nach elf. Wieso?<<

Wieso? Meinte er das etwa ernst? Hatte er den wichtigsten Termin in ihrem Leben seit fünf Jahren vergessen? So wie er da saß und sein verspätetes Frühstücksmüsli in sich rein baggerte, war das höchstwahrscheinlich der Fall.

>>Was soll das heißen, wieso?<<, fragte sie entrüstet. Sie konnte nur hoffen, dass er eine gute Antwort fand und die Kurve bekam, sonst würde sie ihm das nie verzeihen.

>>Du bist doch gut vorbereitet.<<, beruhigte er sie. >>Wie immer.<<

Sein Lächeln entwaffnete sie. Er hatte es nicht vergessen, und sein liebevoller Blick gab ihr sofort die Zuversicht zurück, die sie in den letzten Minuten verloren hatte. Natürlich würde sie das Bewerbungsgespräch rocken!


Und nun den gleichen Dialog etwas abgewandelt.

>>Kannst du mir die Uhrzeit sagen?<<, fragte sie.

>>Klar, warte, es ist...<< Er sah umständlich auf die Uhr, während er sein verspätetes Frühstücksmüsli in sich rein mampfte. >>Viertel nach elf. Wieso?<<

>>Wieso?<<, rief sie entrüstet. >>Sag mir nicht, du hast vergessen, dass ich heute mein Bewerbungsgespräch habe! Das ist mein...<<

>>...wichtigster Termin seit fünf Jahren. Das weiß ich doch, mein Schatz. Aber er ist erst um eins, du hast noch mehr als genug Zeit.<<

Sein Lächeln entwaffnete sie und der damit einhergehende liebevolle Blick gab ihr sofort die Zuversicht zurück, die sie in den letzten Minuten verloren hatte. Natürlich würde sie das Bewerbungsgespräch rocken!


Was ist der Hauptunterschied der beiden Formen?

Im ersten Fall wird jeder gesprochene Satz anschließend von der Protagonistin mit einem Gedanken untermalt - der auch noch länger ist als das eigentlich Gesagte.

Im zweiten Dialog sind die gleichen Informationen enthalten, aber aus der Gedankenform herausgeholt und die direkte Rede eingebettet.


Was stört mich an der ersten Version?

Sie ist nur ein kleines, einfaches Beispiel eines Phänomens, auf das ich beim Lesen oft stoße, und zwar in Romanen aller Qualitätsstufen hinweg! Es ist eine versteckte Form des alten Problems "Show, don't tell". Aber mit einem Extra oben drauf.


Der Tell entsteht dadurch, dass wichtige Informationen eben nicht im eigentlichen Gespräch zum Nacherleben im eigenen Kopfkino gezeigt werden, sondern als dröge Informationen unmittelbar im Anschluss nochmal erzählt ("telled") werden. So als hätte es in der direkten Rede keinerlei Möglichkeit gegeben, das einzubinden.


Das negative Extra oben drauf besteht in folgenden Eigenschaften:

  • Der Dialogfluss wird jedesmal unterbrochen, sodass jegliche Geschwindigkeit verloren geht. Im schlimmsten Fall entsteht ein Rhythmus, bei dem ein einziger gesagter Satz einen dreizeiligen Gedankengang nach sich zieht, den man als Leser erstmal mit durchkauen muss. Das ist fast schon nicht mehr als Dialog zu bezeichnen.

  • Die Gedankengänge sind häufig überflüssig. Sie bringen keinen informativen Mehrwert. Stattdessen stellen sie meist die Hintergedanken des Autors dar, den er oder sie hatte, als der Dialog entworfen wurde. Der Leser braucht das aber nicht, und falls doch, müssen die Informationen gezeigt (gesagt!) werden, nicht erzählt.

  • Ein Dialog ist ja für sich genommen fast der stärkste "Show", den man schreiben kann, denn der Leser wird direkt ins Gespräch geworfen und hört den Leuten. Wenn dies mit ständigen Gedanken unterbrochen wird verschenkt man das ganze Potential.

Natürlich muss man - wie überall - auch relativieren.

Nicht jede gedankliche Interpretation des zuvor Gesagten ist überflüssig. Manchmal steckt ja genau darin das Wichtige, also im Nichtgesagten. Und wenn ein Gespräch einige Mal hin- und hergegangen ist, ist es ganz normal, dass die Gesprächpartner über das Gesagte nachdenken und überlegen, was sie selbst als nächstes antworten.


Aber:

1. Nicht nach jedem einzelnen gesagten Satz!

2. Nicht in Summe mehr als das Gesagte.


Bei Punkt 1 bleibe ich hart. Für Punkt 2 bestätigen die Ausnahmen die Regel, nämlich weil Dialog-Sätze meistens kürzer sind als geschriebene Gedankengänge.

Vielleicht sollte man Punkt 2 also umformulieren zu:


2. Das Verhältnis von Informationsgehalt aus der direkten Rede muss zu den anschließenden Gedankengängen in gesundem Verhältnis stehen.


Warum ist das alles wichtig?

Ich bin ganz ehrlich: Ich habe Bücher schon für immer weg gelegt, obwohl ich mitten in der Geschichte drin war, einfach weil ich das ständige Gedanken-Gelaber in den Dialogen nicht mehr ertrug. Redet doch endlich einfach mal weiter! Hört auf alles zu zerdenken, mein Gott! waren die Emotionen, die bei mir da hochstießen.

Aus dem gleichen Grund habe ich Bücher nicht gekauft, in denen ich rumstöberte, aber wo ich schnell auf diese Art der Dialogform gestoßen bin.


Also:

Haltet eure Leser mit guten, spannenden und anregenden Dialogen bei der Stange. Viele Gedanken, die die Protagonisten im Gespräch haben, können meist geschickt in die Rede integriert werden. Nutzt das!


Wie immer freue ich mich über jede Meinung, Kommentar und auch Diskussion zu diesem Thema :-).


Euer Emanuel




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